Erdogan’s Ziel

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Vor nicht mal ein Monat erschien ein Bericht in der Bildzeitung, in dem die Anstrengungen der Türkei in wirtschaftlicher Hinsicht gelobt wurde und durch gute Ratings der gefürchteten Rating Agenturen belohnt wurde (Am Bosporus brummt’s – http://www.bild.de/geld/wirtschaft/tuerkei/wirtschaftswunder-land-tuerkei-30446922.bild.html), und jetzt liegt alles am Boden.

Die Sache ist so weit gediegen, dass Historiker Dr. Michael Wolfssohn fordert, die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei abzubrechen, und noch Sanktionen zu verhängen, denn

„Erdogan ist nur die Ouvertüre der türkischen Islamisierung. Die eigentliche Oper folgt noch“

Dabei ist Erdogan nicht der erste Vefechter des Islams, der türkischer Premier Minister wurde. Der erste Versuch mit Erbakan ging aber gründlich in die Hose. Als er gewählt wurde, machte man sich Sorgen. Ich erinnere mich an einem Gespräch in einer Kneipe in einem der Istanbuler Vororte, wo mein Gegenüber, der zur erweiterten Clique meines Schwagers gehörte, mir seine Sorgen diesbezüglich erzählte.

Ich weiss als wenn es heute wäre, dass ich ihm gesagt habe, er solle sich keine Sorgen machen. Wenn das Volk merkt, dass es ihnen mit Erbakan nicht besser gehen würde, würde es schnell vorbei sein. Kurz darauf ging das Militär dazwischen und setzte dem greisen Ministerpräsident ab. Er hatte zu viele Fehler gemacht.

Unvergessen zum Beispiel das Bild, wo er in Tripolis wie unbeteiligt auf die Decke starrte und zuließ, dass Gadafi die Türkei beleidigte. Tags darauf schrie die Presse nach seinem Blut.

Erdogan aber hat noch keine Fehler gemacht, jedenfalls nicht in wirtschaftlicher Hinsicht. Die Presse hat er unter seine Kontrolle gebracht, und auch das Militär ist ein zahnloser Tiger geworden. Die Leute, sprich Generäle, die ihm gefährlich werden könnten, verrotten irgendwo in türkischen Gefängnisse.

Und während er all dies vorbereitet hat, wurde er vom Westen (allen voran Deutschland) unterstützt. Man zeigte sich gerne als Freund von diesem Mann, der zeigte, dass Islam und einer modernen Türkei sich nicht gegenseitig ausschließen müssen.

Alles vorbei, der Teufel hat seinen Haupt erhoben, und bewegt sich jetzt Richtung Ziel.

„Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind.“

hat er mal gesagt, aus einem Gedicht zitierend, und wurde dafür verurteilt, unter anderem mit lebenslangem Politikverbot.

Aber jetzt fühlt er sich wieder stark und will sein Werk vollenden. Wozu sonst sollte er alles weiter anheizen und den Riss in der türkischen Gesellschaft offenbar bewusst fördern in dem er seine berüchtigten Rallies veranstaltet? Und seine Schafe folgen ihm, Augen geschlossen, das Hirn gewaschen. Schon alleine den Kommentar einer seiner Jüngerinnen im Fernseher zeigt, dass sie nicht verstanden haben, worum es eigentlich geht „Alle reden vom Gezi Park – Erdogan hat schon über 75.000 Bäume gepflanzt.“ – als wenn es um Bäume ginge.

Wolfssohn weiß:

„Die türkischen Demonstranten von heute wissen längst, dass die Islamisierung ihr Land letztlich ins Mittelalter zurückschleudert und von der Welt abkapselt. Sie wollen die Trennung von Religion und Politik, die es vor Erdogan gab. Sie repräsentieren leider nicht die Mehrheit der Türken. Die Mehrheit der Türken hält nämlich zu Erdogan.

Aber Wolfssohn ist Historiker und Politologe, er kennt die Menschen des Landes nicht. Und da liegt die Hoffnung. Aus wirtschaftlicher Hinsicht gibt es wohl keine Gründe, Erdogan nicht zu unterstützen. Die Wirtschaft floriert, das Land ist schuldenfrei. Und das ist Erdogans Verdienst, ohne Zweifel.

Ich bin aber überzeugt, dass, wenn es darauf ankommt, die meisten seiner Gefolgschaft nicht wollen, dass die Türkei in das Mittelalter zurückkehrt.

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